Wer anderen eine Grube gräbt ...

...fällt selbst hinein! So lautet ein bekanntes Sprichwort.

Vielleicht hat so manch einer diese bittere Erfahrung schon machen müssen. Auf jeden Fall Herr Braun, der sich täglich über die Unbekümmertheit der Nachbarskatze furchtbar ärgert.

Verbissen beobachtet er das Tier von seinem Garten aus, wie es geschickt auf die Mauer springt, um auf dem Balkon seines Menschen laut miauend um Einlass zu bitten. Das Katzengeschrei stört ihn ungemein, aber auch der Anblick des Stubentigers auf der Grenzwand widerstrebt ihm. Er versucht, die Wand mit Gegenständen wie Harke, Besen,

Kinderspielzeug und Blumentöpfen zu bestücken - ohne Erfolg.

Geschickt überspringt die Katze sämtliche Hindernisse. Es scheint sie nicht im geringsten zu stören. Mühelos erreicht sie ihr Ziel. Sehr zum Verdruss ihres zweibeinigen  Freundes.

Bei diesem Anblick ballt Herr Braun die Fäuste und läuft vor Zorn rot an.

Verfluchtes Katzenvieh! Dich krieg ich noch! Pass auf! schimpft er laut vor sich hin und stapft mit gesenktem Kopf ins Haus.

Dann hat er eines Tages eine glorreiche Idee.

Er stellt einen kleinen Plastikeimer, gefällt mit Wasser, auf die Mauer, genau an die Stelle, wo die Katze immer zum Sprung nach oben ansetzt. Mit hämischem Lächeln betrachtet er sein

Werk.

Er stellt sich vor, wie die Katze durch einen Fehltritt den Eimer umstößt, sich furchtbar erschreckt und quietschnass davon läuft. Genüsslich reibt er sich die Hände.

Du Luder sollst deine Lektion bekommen, das sag ich dir. Du lässt dich hier bestimmt nicht mehr blicken. Dann habe ich endlich Ruhe vor dir.

Herr Braun ist fest davon überzeugt, nach langen vergeblichen Bemühungen nun die richtige Lösung seines Problems mit dem Vierbeiner gefunden zu haben.

Er kann den Zeitpunkt kaum abwarten, bis die Katze kommt. Immer wieder wirft er einen Blick auf seine Armbanduhr. Er kennt mittlerweile die Zeiten des Tieres genau.

In zehn Minuten ist es soweit. Hoffentlich hat der Teufel seine Pläne nicht ausgerechnet heute geändert.

Herr Braun stellt seine Liege in unmittelbarer Nähe der Mauer auf, so dass ihm nur ja nichts entgeht. Kein Baum oder Strauch soll ihm die Sicht auf dieses amüsante Theaterstück versperren. Er will sich von der ersten bis zur letzten Sekunde köstlich amüsieren. Behaglich streckt er sich auf der Liege aus, verschränkt die Arme unter dem Kopf und blinzelt erwartungsvoll auf die Mauer. Sein Herz klopft vor freudiger Erwartung.

Das wird ein Spaß. Ich könnte mich totlachen. Wenn die Pussy wüsste, was sie erwartet.

Herr Braun verzieht den Mund zu einem breiten Grinsen.

Zum ersten Mal freut er sich auf das Erscheinen der Katze und kann es fast nicht mehr erwarten.

Schadenfreude ist die schönste Freude, murmelt er vor sich hin. Und die werde ich heute zur Genüge haben, verlass dich drauf. Das macht mir niemand zunichte. Heute zieh ich dir das Fell über deine kleinen Pelzohren. Dein Katzenleben lang wirst du diesen Tag wohl kaum mehr vergessen. Aber sei mir doch dankbar, du Pelztier, hast es dann für heute nicht mehr nötig, dich zu putzen. Ist alles inklusive.

Während er noch so seinen Gedanken nachhängt, hört er ein leises Miauen. Der große Augenblick naht. Der Stubentiger ist im Anzug.

Mit einem kräftigen Satz landet das schwarzweiße Tier lautlos auf der Mauer.

Herr Braun entdeckt sie sofort. Er hält den Atem an.

Nur jetzt nichts falsch machen. Kein Laut, keine Bewegung, sonst ist alles aus und sie rennt weg. Mit aufgerissenen Augen starrt er die Katze an, die geschmeidig und problemlos die auf der Mauer liegen gebliebenen, bereits eingangs erwähnten Gegenstände, überspringt, ohne auch nur ein Teil herunter zu werfen.

Trotz allem Hass gegen Katzen, ist Herr Braun von der Artistik des Tieres fasziniert und kann sich ein bewunderndes *oh* nicht verkneifen. So genau hatte er den Tiger ja auch noch nie beobachtet. Jetzt verstand er natürlich, warum die Katze sich durch Harke, Besen und all die anderen Teile auf der Mauer nicht davon abhalten ließ, auf den Balkon zu springen.

Doch wie würde sie auf den Eimer reagieren?

Die Katze hat gerade zum Sprung auf den Balkon angesetzt, als ein großer Hund am Gartenzaun des Nachbarn entlang läuft und laut bellt. Er hat die Katze auf der Mauer gesehen, stellt sich auf die Hinterpfoten, springt gegen den Zaun und kläfft ohne Pause.

Die Katze erschrickt fast zu Tode. Vor lauter Angst will sie so schnell wie möglich auf den sicheren Balkon. Doch dabei stoßen ihre Hinterpfoten gegen den mit Wasser gefüllten Plastikeimer, dessen Inhalt sich komplett auf Herrn Braun und seine Liege ergießt.

Die Katze hockt verängstigt, aber völlig trocken vor der Balkontüre, wo sie kurz darauf von ihrem Menschen, wie jeden Tag, herzlich begrüßt wird.

 

© Helga Salfer